Der dumme Esel Nuck[Drucken / PDF]

Vielleicht wisst ihr, liebe Kinder, dass ich zu Hause in meinem Waldhäuschen einen Esel habe. Er ist in der Zwischenzeit etwas altersschwach geworden. Deshalb durfte er heute im Stall bleiben, und mein starker Schmutzli schleppt den Sack herum. Mein Eselchen heisst Nuck. Als er noch jung war, war er ein richtiger Lausbub, der manchmal ziemlich dumme Sachen anstellte. Eine solche Geschichte will ich euch jetzt erzählen.

Einmal vor dem Niklaustag standen die Bäume tief im Schnee. Kein Blättchen und kein Hälmchen war mehr zu sehen. Rotschwanz, der Fuchs, schlich durch den Winterwald. Wo ging er nur hin? In den Tannen versteckt stand mein kleines Samichlausenhaus. Rotschwanz wusste, dass ich dort mit meinem Esel Nuck wohnte. Der Fuchs sass ganz still und schaute zu meinem Häuschen hinunter. Er sah die Vögel ums Futterhäuschen fliegen. Er sah auch Rauch aus dem Kamin steigen. Jetzt sah er auch mich, wie ich mit einem Tuch voll Heu durch den Schnee stapfte. So ging ich jeden Abend die Rehe füttern. Dabei liess ich Nuck, meinen Esel, für eine halbe Stunde allein. Rotschwanz wusste auch das. Er wartete, bis ich hinter den Stämmen verschwunden war. Dann lief er den Hügel hinunter. Er hatte scheinbar etwas mit dem Esel zu reden. Aber ich durfte das nicht hören. Rotschwanz hatte mich nicht gern, weil ich ihm verboten hatte, die jungen Hasen zu fressen. Die Stalltüre war nur angelehnt. Frech ging Rotschwanz hinein. Er sagte: "Guten Abend, Nuck! Du tust mir leid. Bald hast du wieder deine bösen Tage." "Was für böse Tage?" fragte mein Esel. " Morgen darf ich mit meinem Nikolaus zu den Kindern gehen. Das ist doch der schönste Tag im ganzen Jahr!" gab Nuck zurück. Rotschwanz schnüffelte im Stall herum. Er sagte: "Nuck, bist du dumm? Du musst dem Nikolaus den schweren Sack tragen. Wenn er aber zu den Kindern ins Haus hineingeht, lässt er dich draussen in der Kälte warten. Nie hörst du sie ihr Verslein sagen, nie siehst du, was sie für Augen machen, wenn er die Rute zeigt, und gar nie darfst du den Sack ausleeren. Möchtest du nicht selbst einmal Niklaus sein?"

"Meinst du?" fragte Nuck, und dann dachte er: "Eigentlich hat Rotschwanz recht." Schnell half ihm Rotschwanz, den Niklausmantel anzuziehen und den Sack aufzuladen, und schon war Niklaus Nuck auf dem Weg ins Dorf. "Wie werden sich die Kinder freuen, wenn ich heute schon komme!" dachte er und lief munter den Waldweg entlang. Ein Hase streckte seinen Kopf hinter einem Baum hervor. "Was kommt da für ein Ungeheuer!" rief er. Nuck guckte unter der Kapuze hervor und staunte. "Du bist es, Nuck! Was machst du im roten Niklausmantel?" fragte der Hase. "Ich bin nicht der Nuck, ich bin der Niklaus!" sagte Nuck. Der Hase lachte: "Seit wann hat der Niklaus so lange Ohren? Und seit wann hat er einen so langen, grauen Schwanz?" Dann rannte der Hase durch den Wald und erzählte allen Tieren von dem dummen Nuck, der behauptete, der sei der Niklaus. Nuck, der Ausreisser, aber tappte weiter. Die Kapuze rutschte ihm immer tiefer in die Augen, Der Sack drückte ihn.

Auf einmal hatte er Hunger. Er dachte an den Niklaus, der ihm jeden Abend um diese Zeit einen Armvoll Heu in die Krippe warf. Unter dem Schnee war eine dicke Wurzel vesteckt, die sich über den Weg ausbreitete. Nuck sah sie nicht und stolperte. Der Sack fiel hinunter. O je, o je! Verzweifelt rief Nuck: "Rotschwanz! Rotschwanz! Komm, hilf mir!" Aber Rotschwanz hatte sich schon lange davongemacht. Er wollte mir jetzt nicht unter die Augen kommen. Nuck musste sich selbst helfen. Ungeduldig zerrte er an dem Sack herum, der am Boden lag.

Auf einmal stieg ihm ein Geruch in die Nase. "Mmh, wie gut! Sind das die feinen Äpfel aus unserem Keller ? Einen, nur einen einzigen Apfel muss ich haben. Das merkt sicher niemand!" dachte Nuck. Plötzlich riss die Schnur. Zimtsterne, Teigmännchen, Lebkuchen, Nüsse, Äpfel, Mandarinchen - all die guten Sachen kollerten in den Schnee. Aber was war das? Auf einmal war Nuck nicht mehr allein. Alle Hasen, Eichhörnchen, viele grosse und kleine Tiere sassen um ihn herum. "Oh, wie fein !" riefen sie und fingen an zu fressen. "Hört auf, hört auf ", schrie Nuck voller Angst, "das sind die Sachen für den Niklaustag! Die sind nicht für euch, die muss ich doch den Kindern bringen." Doch alles Bitten nützte nichts. Die Tiere hatten ein Festmahl. In der Zwischenzeit kam ich mit leeren Händen von der Rehkrippe zurück. Ich freute mich auf eine Tasse Tee, um mich aufzuwärmen. Aber zuerst musste mein Esel Nuck sein Abendfutter haben. Er wartet ja immer so ungeduldig darauf. Auf einmal aber blieb ich stehen. Etwas stimmte da nicht. Woher kam denn nur dieser Lärm? Was schimmerte so rot zwischen den Stämmen? Was bedeuteten diese vielen Spuren im Schnee? Mit festen Schritten ging ich weiter. Da fand ich auf dem Waldweg eine übermütige, schmausende Gesellschaft, und mitten drin den armen, unglücklichen Nuck. Die Hasen, die Eichhörnchen, das Reh und die Vögel sagten mir für die vielen guten Sachen danke. Jetzt waren sie müde. Sie hatten so lange gefressen. Sie wollten am nächsten Morgen nochmals kommen und die letzten Krümel zusammensuchen. Ich aber führte Nuck in mein Haus zurück und fragte ihn: "Warum machst du solche Dummheiten? Hast du den Mantel selbst angezogen?" Nuck schämte sich. Er liess die Ohren hängen. "Rotschwanz hat mir geholfen", schluchzte er leise. "Natürlich Rotschwanz", brummte ich.

Es gab für mich eine lange Nacht. Schon wurde es langsam wieder Morgen, und immer noch brannte in meinem Häuschen Licht. Ich musste die ganze Nacht aufbleiben, denn ich hatte noch viel zu tun. Ich musste neue Zimtsterne, Teigmännchen und Lebkuchen backen. Aus dem Keller musste ich frische Äpfel, Birnen, Nüsse und Mandarinchen heraufholen. Schliesslich musste der grosse Sack am anderen Morgen wieder voll sein. Nur im Stall war es dunkel. Dort schlief Nuck, mein müder Ausreisser.

Der nächste Abend kam schon bald. Zwischen den Stämmen dunkelte es schon. Jetzt kam ich mit meinem Esel aus dem Wald heraus. Nuck war übermütig vor Freude, weil er den Sack zu den Kindern tragen durfte. Wie fröhlich war ich heute, obwohl ich die ganze Nacht gearbeitet hatte. Wie fröhlich tanzten die Schneeflocken. Heute war der richtige Niklaustag. Das sah auch mein lieber